Nach drei langen Kilometern Heerstraße leiten uns die Richtungsschilder wieder dorthin,
wo gestern nachmittag mein Abenteuer begonnen hatte:
Die Passenheimer Straße hoch (fast 10 Höhenmeter, einige fluchen, andere stöhnen),
links die Rudolf-Harbig-Halle liegen lassen, dafür vorne rechts den
Glockenturm aufs Korn nehmen.
Einen guten Steinwurf hinter dieser mächtigen Fassade liegen
Sinn und Zweck der ganzen Mühen,
die wir hier heute auf uns genommen haben ...
Ein Schild steht weiter vorne am Einlaß auf das Stadiongelände:
einen klitzekleinen Kilometer müssen wir noch, ach, was sage ich,
DÜRFEN wir noch, denn es wird - für den allergrößten Teil von uns -
der schönste und aufregendste Kilometer des ganzen Vormittags werden.
Eingerahmt von viel Grün (mal wieder) schlagen wir einen großen Bogen um das
Stadionrund,
und näheren uns jetzt von Norden her der Einfahrt in die Katakomben
des riesigen Beton- und Natursteinbaus,
der am 01. August 1936 gemeinsam mit den Olympischen
Sommerspielen eröffnet wurde.
Es wird laut, und der Lärm kommt nicht von den Stadiontribünen,
er ist tiefer, dumpfer, erdiger und halliger, ein Trommeln, Hämmern
und Schlagen, rhythmisch von irgendwoher aus den Eingeweiden der Erde.
Die Schritte werden wieder leichter, nicht nur gefühlt, sondern real:
der letzte Kilometer geht leicht bergab, das beflügelt, Sohlen wie Seelen.
Achtung, letzte Ausfahrt zum Olympiastadion - noch eine kleine Kurve -
dann sehen wir auch die Quelle der immer intensiver gewordenen Geräuschkulisse:
Ein dunkles, lautes Loch verschlingt die Läufer, bewacht von einer
griechisch-römisch anmutenden riesigen Statue.
Vielleicht Nike, die griechische Göttin des Sieges?
Wer auch immer hier die Rampe kontrolliert, es geht in die Katakomben unter dem Olympiastadion.
Nicht etwa schmale Gänge, sondern weitläufige, mit Neonröhren erhellte Hallen,
wo in den letzten zwei Kriegsjahren die Firma Blaupunkt ihre wertvolle Röhrenproduktion
unterbrachte, hier wesentlich besser geschützt vor den Bomben der Alliierten.
Steil geht es die Zufahrt hinab, wir müssen nicht mehr laufen, wir lassen uns
einfach fallen, müssen jetzt nur noch den Schwung ausnutzen,
den der Abstieg in den
Bauch des Baus uns mitgibt.
Der Lärm ist hier ohrenbetäubend. Im Zentrum der Unterwelt hat sich eine Truppe von Sambatrommlern versammelt, ihr treibender Rhythmus hallt von den rohen Betonwänden wider, mischt sich mit den lauten Schritten zahlreicher Läuferbeine, mit dem Klatschen, Johlen und begeisterten Rufen der Vorbeieilenden. Die Spannung steigt, die Luft vibriert vor Erwartung, nach der nächsten leichten Linkskurve öffnet sich ein großes Tor zum Stadionrund.
Nebelmaschinen erzeugen ein diffuses, gespenstisches Licht, noch 20 Meter
die abschüssige Betonpiste hinunter, dann spuckt der Orcus uns aus und wir stehen im
Marathontor, von hellem Sonnenlicht überflutet, auf dieser weltweit einmaligen,
leuchtendblauen Tartanbahn, auf Wunsch und Kosten des Bundesligisten Hertha BSC
nach der Komplettsanierung und dem Totalumbau des Stadions von 2000 bis 2004
in den Vereinsfarben getönt.
Und da es seit jeher etwas teurer ist, einen
besonderen Geschmack zu haben, durfte die gute alte Tante Hertha für blau gleich
zehnmal soviel zahlen wie für rot.
Der Stadionsprecher empfängt uns persönlich am Eingang, die Tribünen
sind gut besetzt, hundert Meter bleiben uns noch.
Je nach Temperament und körperlichem Zustand werden diese gehend, joggend
oder mit Endspurt zurückgelegt.
Auch Meune wartet schon. Sie hat einen guten Platz ergattert,
kurz vor dem Ziel direkt hinter der Bande. Heute muss sie noch zuschauen,
nächsten Sonnabend darf sie selber ran, dann ist
Berliner Frauenlauf
kreuz und quer durch den Tiergarten.
Es gibt einen Extra-Applaus für den Fotografen,
wieder kurz stehenbleiben, diesen kleinen Schnappschuss gönne ich mir noch,
und auch noch diesen anderen, direkt vor dem Ziel, das Tor in Großaufnahme.
Und am oberen Querbalken die überdimensionale Uhr, die Zeit läuft, Sekunde für Sekunde, 2:29:50, 2:29:51, ...
Oh, verdammt, eigentlich wollte ich doch wenigstens binnen zweieinhalb Stunden
die ganze Sache hinter mich gebracht haben. Kalkuliert war ein Tempo von 5' - 5'30/km,
also 2:05 - 2:15 Std., hinzugerechnet (30 - 40 Fotos a´ 30 Sek. = ) 15 - 20 Min
zum Fotografieren. Also runter mit der Kamera, die Beine in die Hand genommen und
schleunigst durch: 2:29:57 brutto - netto sieht es mit 2:28:38 ein bisschen
weniger eng aus - ein schöner langer Trainingslauf war das,
kurzweilig und ereignisreich, sonnig und warm, angenehm entspannt und doch erschöpfend genug.
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